Friedel: Kopfnoten-Debatte betrifft nur die Spitze des Eisbergs – über Schule der Zukunft diskutieren
Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, zum Kopfnoten-Urteil des Oberverwaltungsgerichtes (OVG):
„Der Beschluss des OVG Bautzen zum Thema Kopfnoten wirft leider mehr Fragen auf, als er beantwortet. Zu erwarten ist, dass die Auseinandersetzung weitergeht“, so Sabine Friedel.
Das OVG argumentierte in seinem Beschluss: „Auch wenn Kopfnoten in gewisser Hinsicht Rückschlüsse auf das Arbeits- und Sozialverhalten des Schülers zulassen, dürften sie bei Bewerbungen wesentlich weniger bedeutsam sein als die Leistungsnoten.“ Weil die Bedeutung der Kopfnoten derart gering sei, so das OVG, schränkten sie das Grundrecht auf freie Berufswahl nicht ein und seien daher zulässig.
Friedel dazu: „Ob das Gericht da wirklich auf einer realen Basis argumentiert, kann man zumindest bezweifeln. So halte etwa der Hauptgeschäftsführer der IHK Leipzig, Dr. Thomas Hofmann, Kopfnoten für sehr sinnvoll – weil die eigentlichen Leistungsnoten in den vergangenen Jahren immer weniger Bedeutung für die Wahl eines Berufs und für die Auswahl eines Auszubildenden bekommen hätten. „Auch die regelmäßigen Ausbildungsbefragungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zeigen, wie wichtig den Arbeitgebern soziale Kompetenzen im Vergleich zu Fachnoten sind.“
„Das OVG selbst lässt sich deshalb in seinem Beschluss ein Hintertürchen offen und fügt der Aussage, dass Kopfnoten kaum relevant seien (‘… weniger bedeutsam … als Leistungsnoten‘), den Satz an: ‚Dies ist indes der Klärung im Hauptsacheverfahren, ggfls. im Wege der Beweiserhebung, vorbehalten.‘“
„Sollte sich dort erweisen, dass die Unternehmen den Kopfnoten doch höhere Bedeutung zumessen, als das OVG glaubt, dann geht es ans Eingemachte: Denn dann braucht es auch für solche Noten objektivierbare Bewertungsmaßstäbe, ähnlich wie es sie in Mathematik, Biologie oder Chemie gibt – damit die Bewertung der Schüler nicht ‚nach Nase‘ erfolgt. Das passiert derzeit oft und hat beispielsweise zur Folge, dass Jungen im Schnitt schlechtere Kopfnoten als Mädchen erhalten“, so die Bildungsexpertin.
„Hinzu käme, dass dann diskutiert werden muss, ob Betragen, Ordnung, Fleiß und Mitarbeit tatsächlich soziale Kompetenzen abbilden. Bei sozialen Kompetenzen sind eher Fähigkeiten wie Leistungsbereitschaft, Kommunikative Kompetenz, Hilfsbereitschaft, Gründlichkeit, Höflichkeit, Genauigkeit, Teamfähigkeit und ähnliches gemeint. Zudem sind für verschiedene Berufsbilder verschiedene Kompetenzen von Belang.“
„Die Entwicklung objektivierbarer Maßstäbe für so unterschiedliche Kriterien wäre ein Versuch, mit Kanonen auf Spatzen schießen. Wir bleiben dabei: Vernünftiger wäre es, statt starrer Noten eine individuelle Einschätzung zu geben. Hier können Lehrkräfte die sozialen Kompetenzen der Schüler beschreiben und ihre besonderen Stärken herausstellen. Das hätte mehr Informationswert als das Einpressen einer Schülerpersönlichkeit in vier zirka 100 Jahre alte Kategorien – und zwar für die Schülerinnen und Schüler selbst sowie für die Lehrkräfte und die potentiellen Arbeitgeber gleichermaßen.“
„Die Debatte um die Kopfnoten betrifft lediglich die Spitze des Eisberges. Die Frage dahinter lautet: Was muss die Schule künftig leisten? Was sollen Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen? Wie entwickeln wir Persönlichkeiten? Diese Debatte müssen wir führen – und zwar bundesweit und mit einem klaren Blick auf die Zukunft“, so Sabine Friedel abschließend.