200. Geburtstag von Karl Marx: verachtet, verherrlicht, verdreht – was bedeutet uns Karl Marx?
Heute vor 200 Jahren wurde Karl Marx in Trier geboren. Seine Ideen prägen noch heute politische, ökonomische und gesellschaftliche Diskurse und sind teilweise aktueller denn je. Die Berühmtheit seiner Schriften und Theorien rührt auch daher, dass sich die Geister an ihnen scheiden.
In den gut 150 Jahren seit dem Erscheinen seines bekanntesten Werks „Das Kapital“ wurde Karl Marx viel zitiert – und viel missverstanden. Marx selbst reagierte auf sogenannte „marxistische“ Schriften seiner Zeitgenossen mit den Worten: „Dann bin ich kein Marxist.“
Abseits von Verherrlichung und Verteufelung steht jedoch heute fest: Wer sich mit Politik, mit Ökonomie und der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigt, kommt an Karl Marx nicht vorbei. Allein deswegen ist sein 200. Geburtstag eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, was Karl Marx uns heute bedeutet.
Bei Marx gibt es dabei einen Widerspruch zwischen zwei in seinen Schriften formulierten Zukunftshoffnungen: Es findet sich darin sowohl ein Reformismus mit dem Ziel, sich einer neuen Gesellschaft schrittweise anzunähern (etwa durch Arbeiterschutzgesetzgebung, Begrenzung der Arbeitsstunden, Bildung etc.) als auch ein mit unklaren Vorstellungen über Sozialisierung und Planwirtschaft verbundene Revolutionsvorstellung. An diesem Punkt entschieden sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für den ersten Weg. Statt für Umsturz, Barrikadenkämpfe und den großen Satz ins Ungewisse, trat die SPD für stetigen, schrittweisen Fortschritt ein. Dieser demokratische Ansatz ist eine Erfolgsgeschichte. Statt Menschen allein ihrem Schicksal zu überlassen, fangen wir heute Lebensrisiken als Solidargemeinschaft ab. Auch die enorm gestiegene Lebenserwartung sowie gesetzlich regulierte Arbeitszeiten sind das Ergebnis des gemeinsamen Kampfes für Sozialversicherungssysteme in dieser Gesellschaft.
„Wen immer man zu den Ahnherren der SPD zählt – Ferdinand Lassalle, Bebel, Liebknecht, Marx und Engels –, sie alle wussten, dass der Kampf der Entrechteten, der breiten Schichten um soziale Emanzipation nur im Verbund mit dem Kampf um Demokratie Erfolg haben kann. Es ist der Kampf gegen die Vergewaltigung des Menschen und seiner Freiheiten, das Ringen um Gerechtigkeit und Solidarität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, der sich durch alle Programme hindurchzieht. Im freiheitlichen, demokratischen Sozialismus lebt über alle Zeitläufe hinweg die Zuversicht in die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Ordnung, die jedem Menschen die gleiche Chance gibt, sein Leben in Würde frei zu gestalten“ so Willy Brandt 1978.
Auch 150 Jahre nach Marx‘ „Kapital“ ist die Entwicklung nicht abgeschlossen. Als selbstbewusste Reformpartei gilt es, immer neue Herausforderungen zu bewältigen. Wir brauchen eine neue Sozialpolitik im digitalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Wir brauchen in Sachsen mehr Tarifbindung und gerechtere Löhne. Wir brauchen eine Grundrente für jene, die ihr Leben lang eingezahlt haben und dann doch in die Grundsicherung fallen wie jene, die nie gearbeitet haben. Wir reden über ein Rückkehrrecht aus Teilzeitarbeit. Und wir dürfen nicht vergessen, dass ein digitaler Kapitalismus eine Infrastruktur und technische Ausstattung braucht, die in der realen Welt von realen Menschen erschaffen wird. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Arbeitsbedingungen im digitalen Kapitalismus an vielen Orten der Welt im 21. Jahrhundert ebenso düster sein können wie im „Manchesterkapitalismus“.
Am 200. Geburtstag von Karl Marx erinnern wir uns an unsere Wurzeln und blicken in die Zukunft. Wir haben viel erreicht, und noch so viel vor!